Meinkenbracht im 2. Weltkrieg

Aus der Dokumentation des Kriegsgeschehens, die zum 70. Jahrestag im Pfarrheim in Meinkenbracht vom Arbeitskreis Dorfgeschichte zusammengestellt und gezeigt wurde

Zusammengefasst von Irene Kaiser

Der zweite Weltkrieg veränderte bereits 1940 das gewohnte Leben im kleinen Dorf Meinkenbracht spürbar. Die Fronleichnamsprozession durfte wegen ‚Luftgefahr‘ nur noch als Umgang um die Kirche abgehalten werden. Die kirchlichen Feiertage wurden allesamt auf den folgenden Sonntag verschoben und die althergebrachte gelobte Wallfahrt nach Kloster Brunnen wurde staatlicherseits verboten. Einige Dorfbewohner haben sich dennoch auf den Weg gemacht. Das letzte Glockengeläut im Februar 1942 erfüllte die Gemeinde mit großer Trauer, denn die Glocken mussten zum Einschmelzen abgeliefert werden. Auch die drei Jahre zuvor angeschafften Apostelleuchter aus Messing mussten abgegeben werden. Von der äußeren Feier des Patronatsfestes wurde in Anbetracht der schweren Kriegszeit Abstand genommen. Bei der Wallfahrt 1944 (vermutlich inoffiziell*) hörte man auf den Höhen von Kloster Brunnen zum ersten Mal das Toben der fernen Schlacht.

Meinkenbracht zwischen den Fronten

Im Frühjahr 1945 war der Krieg vor der Haustür angekommen. Wer auf dem Feld oder im Freien arbeitete, musste den Beschuss durch Tiefflieger fürchten. Wegewärter Harmann geriet nach den Erzählungen der Meinkenbrachter häufiger in brenzlige Situationen. Einmal fand er Deckung an einem noch blattlosen Baum, ein anderes mal in einem Durchlassrohr. Ein Pferd von Bauer Wiethoff-Hüster erlitt einen Streifschuss, während er selbst noch gerade rechtzeitig den schützenden Hohlweg erreichen konnte. Der Milchwagen musste bereits um 3 Uhr in aller Frühe losfahren, um rechtzeitig vor dem Aufsteigen der Jagdbomber, kurz JABOS, wieder zurück zu sein. Verschiedene Quellen berichten davon, dass in den Familien hinter verschlossenen Türen heimlich ausländische Radiosender in deutscher Sprache gehört wurden. Auf diese Weise war man im Dorf über die Lage durchaus informiert und man traf Vorkehrungen, um die Bewohner und die wichtigsten Dinge in Sicherheit zu bringen. Ein alter Stollen in der Hardt wurde vorsorglich freigelegt, damit er Unterschlupf bieten konnte. Die Nachbarn Wiethoff und Kremer hatten sich für den Notfall im Haksiepen im Wald eine Hütte gebaut, aber der Weg dorthin erwies sich letztlich als zu gefährlich. Einige Kellerdecken wurden zusätzlich gestützt und die Kellerfenster mit Erdreich abgedeckt. Manche Häuser hatten keinen geeigneten Keller und es wurde eingeteilt, wer im Notfall in welchem unterkellerten Haus unterkommen sollte.

Hof Blome vor 1945

In der Karwoche wurde die Anspannung in Meinkenbracht immer größer. Alle stellten sich die Frage: Wann erreichen die Amerikaner unser Dorf und was kommt dann?

Bereits am 31. März kamen die ersten Quartiersmacher der Wehrmacht.

Am 1. April, Ostersonntag, begann die Einquartierung. Zuerst kam eine Funkerkompanie, eine Feldküche wurde auf dem Hof Kaiser eingerichtet. Ein Offizier prophezeite: „Meinkenbracht wird dem Erdboden gleichgemacht, das ist für die Kriegsführung wie geschaffen.“

Ostermontag kam eine Truppe, rund 150 Mann, die nur für eine Nacht untergebracht werden sollte, aber am nächsten Tag dachte keiner an Abmarsch. Am Abend kam noch eine bereits angekündigte Munitionskolonne dazu.

Am 4. April war das Frontgeschehen immer deutlicher zu hören. Von diesem Tag schreibt Alfons Kaiser in seinen Aufzeichnungen sinngemäß: Morgens kommt plötzlich der Befehl „Alle Ausländer, ohne Ausnahme, müssen vom Volkssturm nach Hellefeld gebracht werden. Von da aus schließen sie sich einem Flüchtlingstransport an, der nach dem Osten geht.“ Die ausländischen Zwangsarbeiter gehen widerwillig, mit Tränen in den Augen und bangem Herzen.

Am 5. April, so berichtet er, kam eine Truppe, die zu der Abteilung der Panzerlehrdivision gehörte, mit Totenkopf auf der Brust und an den Fahrzeugen.

Am Samstag, den 7. April kamen knapp 500 jugendliche Ungarn (dazu mehr im weiteren Verlauf).

Als ‚Ruhe vor dem Sturm‘ wird der 8. April an einer Stelle bezeichnet. Alfons Kaiser hat das Geschehen auf dem elterlichen Hof so beschrieben: Am Sonntag kam ein Stab auf den Hof, einige Hauptmänner, ein Major und viele Leutnants. Dieser Stab hat hinter unserem Hof wichtige Papiere vergraben. – Das Dorf war voller Soldaten, sie lagen auf dem Boden, im Stall, im Haus, überall. Die Ausländer, darunter auch das ‚Polenmädchen‘, das 5 Jahre auf dem Hof Kaiser war, kamen wieder zurück. Nun war allen klar, dass Meinkenbracht als Höhenstellung verteidigt werden würde. Aus Angst vor Plünderungen vergruben die Dorfbewohner die wertvollsten Sachen und Lebensmittel.

Der Hunger der einfachen Soldaten war übergroß. Dieter Ademmer, ein Neffe von Franz Wiethoff-Hüster berichtet, dass er dabei war, als sein Onkel im Osterfeld eine ‚Miete‘ für sie geöffnet und die eingelagerten Kohlraben jedem einzeln zugeteilt habe. Auch die Milch wurde von den Bauern an die Hungernden verteilt. Für die jungen Ungarn wurden im ‚Schweinepott‘ Kartoffeln gekocht, die sie, obwohl noch kochend heiß, aus der bloßen Hand aßen, erzählt Heinz Wiethoff, und ähnlich Adele Knapstein, geb. Schelle: „Einmal kam ein Soldat runter in den Keller. Wir hatten dort Runkeln für das Vieh gelagert, er nahm eine und biss einfach so hinein. Da habe ich gedacht: Mein Gott, muss Hunger weh tun…“

Die Offiziere der deutschen Wehrmacht benahmen sich dagegen, als wäre hier der Endsieg noch zu erzwingen, fasste Klemens Teipel einmal die Situation zusammen.

links Kirche – mitte Haus Funke – rechts Wohnhaus Hof Kaiser (um 1944)

Auch am 9. April kamen immer noch Soldaten, inzwischen war die Rede von 6000 – 7000. Gegen Mittag flogen die ersten Artilleriegeschosse über das Dorf. Viele flüchteten in die Keller, manche suchten Schutz in den Wäldern im Welberg. Der alte, als sicher empfundene Stollen in der Hardt erwies sich letztlich als ungeeignet, weil der Widerhall der Granatexplosionen unerträglich war. Aber ein deutscher Infanterietrupp musste bis zum Ende der Kämpfe dort ausharren.

In der Nacht zum 10. April gab es schon Artilleriebeschuss. Aus allen Himmelsrichtungen wurde geschossen. Am Tag fuhr die Artillerie direkt hinter dem Dorf auf. JABOS und Aufklärer waren den ganzen Tag am Himmel. Truppen gingen und kamen. Artillerie und Flak bauten ihre Geschützstände auf, eine sogar mitten im Dorf. An der Mühle, unterhalb des Dorfes Richtung Linnepe, fielen 2 Sprengbomben. Wer kein Vieh versorgen musste oder nicht unbedingt gebraucht wurde, verharrte auch tagsüber in den Kellern. Bei den Gefechten starben zwei deutsche Soldaten. Sie wurden am 13. April auf dem Friedhof beerdigt.

In der Frühe des 11. April wurde Düperthals Haus getroffen, das Feuer aber noch gelöscht. Die Pionierabteilung bekam den Befehl, alle Wege, selbst die kleinsten Waldwege, mit Panzersperren zu versehen, was bei den eingesetzten Mitteln völlig wirkungslos war. Die Flak rückte, weil inzwischen führungslos, ab. Der Beschuss von allen Seiten ging weiter. Um 18 Uhr brannte das Haus der Familie Kracht. Bei den Lösch- und Bergungsarbeiten wurde der 16jährige Alfons Kaiser schwer verletzt. Seine Familie und Frau Dr. Feuerborn aus Iserlohn, die sich in Meinkenbracht in Sicherheit bringen wollte, versorgten ihn so gut es ging. Bald stand das Haus Winter in Flammen. An Löschen war nicht zu denken, weil der Beschuss zu stark war. Nach Einbruch der Dunkelheit zog auch die Artillerie ab und Hoffnung auf ein Ende kam auf, doch die SS bezog Stellung.

Während der Nacht zum 12. April wurde die Gegenwehr der SS-Einheiten stärker, aber der Beschuss durch die Amerikaner auch. Der Aufenthalt in den Kellern wurde immer gefährlicher. Elisabeth Habbel, geb. Hoffmann, damals 10 Jahre, erinnert sich: „Nach der Meldung, dass Phosphor geschmissen wurde und die Kirche brenne, sollten wir Decken nass machen und schnell den Keller verlassen. Wir sind dann losgelaufen und sahen, dass nicht die Kirche sondern die umliegenden Häuser brannten. Fast alle waren im Welberg, wir sind aber mit wenigen anderen im Steinsknapp geblieben. Erst am Morgen sind wir zusammen, voran Heinrich Schröder mit der weißen Fahne, nach Grevenstein gegangen.“ Im Laufe der Nacht brannten die Häuser Schmidt, Funke, Schröder und Schnöde unvorstellbar schnell nieder. Am Morgen zwischen sieben und acht Uhr brannte das Haus Schulte-Hosang und wenig später auch der Hof Blome. Frau Berger, die Schwester und Haushälterin vom Vikar, hisste mit Unterstützung der 13jährigen Else Kaiser die weiße Fahne am Kirchturm. Die wütende SS eröffnete daraufhin noch heftiger das Feuer Richtung Dorf und die Amerikaner reagierten mit der gleichen Härte. Notgedrungen mussten die beiden die Fahne wieder einholen. Danach wurde es wieder etwas ruhiger. Gegen 10 Uhr brannte auch das Haus Hesse, als letztes das Haus Schneider. Nach Recherchen von Klemens Teipel hisste der Ortsgeistliche nach einer Stunde erneut die weiße Fahne.

Allmählich wurde der Beschuss ruhiger, Geräusche der anrollenden Panzer waren zu hören. Die verängstigten Dorfbewohner atmeten auf – Endlich – Ruhe! Was würde auf sie zukommen?

Das Dorf war ein Ort des Grauens, wahrlich ein Schlachtfeld. Besonders die Häuser in der Mitte hatte es hart getroffen und noch immer züngelten Flammen. Denen, die vor Ort geblieben waren und den Rückkehrern aus Grevenstein bot sich ein fürchterliches Bild. Vielleicht gerade deswegen empfanden es viele als ein Wunder, dass keiner der Einheimischen zu Tode gekommen war.

11 Wohnhäuser wurden ein Raub der Flammen, die Familien hatten alles verloren. Die anderen Häuser wurden mehr oder weniger stark in Mitleidenschaft gezogen. Darüber hinaus waren mehrere Ställe und Scheunen vernichtet. Zwei Granatvolltreffer hatten die Vikarie getroffen. Die Kirche, erst 1930 erbaut, bekam mehrere Volltreffer ab. Einer zerstörte das Dach der Sakristei. Das Hauptdach und das Gewölbe wiesen teilweise starke Beschädigungen auf. Der Turm hatte mehrere Granateinschläge abbekommen und auch die Orgel wurde getroffen. Alle Fenster der Südseite waren vollständig zerbrochen. Überall waren Schäden, ein Loch in einer Schranktür in der Sakristei ist bis heute ein sichtbares Zeugnis, dass bisher niemand auszubessern gedachte.

56 Stück Großvieh wurden in den Bombentrichtern bei der Mühle vergraben, viele davon waren in den Flammen umgekommen, andere hatten so viele Splitter abbekommen, dass sie verendeten.

Die Amerikaner hielten verletzte jugendliche Männer für Fahnenflüchtige. Alfons Kaiser wurde deshalb mit anderen deutschen Soldaten in das Frontlazarett in Fredeburg gebracht. Otto Schneider wurde für einen jungen Ungarn gehalten und nur durch ein Medikament, das er von den Amerikanern in Grevenstein bekommen hatte, konnte er beweisen, dass er zu den Dorfbewohnern gehörte.

Für die Bevölkerung erwies es sich als Glücksfall, dass die Ärztin Feuerborn noch eine Zeit im Dorf war und die Wunden der Verletzten fachgerecht versorgen konnte.

In der Not half einer dem anderen so gut es ging. Viele, vor allem die kleineren Kinder, blieben einige Tage bei Verwandten in Grevenstein und kamen danach in den noch stehenden Häusern solange unter, bis Notunterkünfte errichtet waren und man dort mehr schlecht als recht wohnen konnte. Das noch vorhandene Vieh wurde in den Ställen rundum untergebracht und versorgt.

Soldatenschicksale

Der Tod von 10 Soldaten war für die Familien und die kleine Gemeinde Meinkenbracht noch schwerer zu ertragen als der materielle Verlust. Zudem bereitete die Ungewissheit über das Schicksal der vermissten Angehörigen große Sorgen.

Die Gefallenen der Gemeinde

Am 20.06.1940 starb Clemens Cramer (bei Wiethoff-Hüster), 26 Jahre alt, in Frankreich  

Am 10.08.1941 starb Wilhelm Hustadt, 30 Jahre alt, im Osten bei Staraja Rusia

Am 22.11.1942 starb Albert Kaiser, 20 ½ Jahre alt, bei Rschew

Am 04.09.1943 starb Hubert Winter, 34 Jahre alt

Am 27.06.1944 starb Josef Schulte-Hosang, 35 Jahre alt, bei Polozk

Am 01.09.1944 starb Paul Hesse, 29 Jahre alt, in Lumbres (Frankreich)

Am 14.01.1945 starb Theodor Pott, 37 Jahre alt, bei Rheda auf dem Weg in die Heimat

Am 14.02.1945 starb Ludwig Winter, 34 Jahre alt, in Bestwina (Oberschlesien)

Am 22.09.1946 starb Josef Winter, 40 Jahre alt, nach Entlassung aus russischer Gefangenschaft auf dem Weg in die Heimat an einer schweren Krankheit in Frankfurt an der Oder

Im Jahr 1949 ist der Chronik der St. Nikolaus-Kirchengemeinde zu entnehmen: „Am Samstag, den 3. Juli kehrt Konrad Schelle aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er ist der letzte Kriegsheimkehrer.“

Für die Erstellung des Ehrenmals unweit der Kirche wurde noch ergänzt (Quelle unbekannt): Im Jahr 1944 starb Josef Schnöde im Alter von 30 Jahren. Ferner, ohne Jahresangabe, die Angehörigen der evakuierten Familien: Ernst und Leo Lunau, J. Zimmermann und Siegfried Wolff

Fast 50 Jahre nach der Rückkehr in seine Heimat Ungarn besuchte der damals gerade 14 jährige deutsche Zwangssoldat Jószef Tavas die Stadt Sundern und beschrieb das damalige Geschehen, was sich tief in sein Gedächtnis eingeprägt hatte. Klemens Teipel berichtete am 1. September 1995 im Homertkurier zu dieser Begegnung (verkürzt wiedergegeben):

Am 28. Februar 1945 wurden insgesamt 800 junge Ungarn im Alter von 14 – 19 Jahren nach Dortmund-Brackel verfrachtet und sollten, mit Wehrmachtspässen ausgestattet, als ‚SS-Zöglinge‘ der deutschen Wehrmacht zugeführt werden. Als solche mussten sie zunächst auf dem dortigen Militärflughafen die Flugzeuge mit Bomben bestücken. Nach der Zerstörung des Flughafens im März* durch die Alliierten führte man die graublau uniformierten Jungen über Werl, Soest, Lippstadt und Meschede in das Gebiet des Alten Testaments. Über die Hälfte von ihnen lagerte bei der ehemaligen Meinkenbrachter Mühle am Bach Linnepe. Wie durch ein Wunder war bei dem starken Beschuss des Dorfes kein Ungar ums Leben gekommen. Am 12. April 1945 traten sie von Meinkenbracht aus den Weg in die amerikanische Gefangenschaft nach Andernach an, aus der sie am 1. Juli entlassen wurden.

Eine neue Zeit beginnt

Blick auf Meinkenbracht

Die Zahl der Einwohner stieg trotz der gefallenen Soldaten von 165 im Jahr 1938 durch die Zuteilung von Flüchtlingen und Evakuierten auf 211 im Jahr 1947 und erreichte den Höchststand im Jahr 1950 mit 248. Auf dem heutigen Osterfeuerplatz wurden Baracken für die Flüchtlinge errichtet. Der Bau bestand aus Holz auf einfachen Fundamenten, aber es war keine Bleibe fürs ganze Leben. Bis 1955 sank die Einwohnerzahl auf 226 Personen. Noch immer waren 52 Personen in Meinkenbracht untergebracht. Nur eine Person ist aufgrund von Heirat dauerhaft in Meinkenbracht geblieben.

Heinz Wiethoff erzählte:

In der Schule war es eng. Eine Schulbank für normalerweise zwei Kinder, mussten wir uns schon im Laufe des Krieges zu viert teilen, weil zeitweise in Kloster Brunnen weder ein Lehrer noch ein Pastor war. Nach Kriegsende kamen dann die Flüchtlingskinder. Wir Schulkinder bekamen schulfrei, wenn Steine vom LKW abgeladen werden mussten. Auch beim Dachpfannen anreichen haben wir geholfen, alle standen dazu in der Reihe auf Leitern.

Haus Winter mit Kolonialwarengeschäft

Die Schwestern Margret Thüsing und Mechtild Weber, geb. Winter, können sich noch an einiges erinnern:

Das Wohnhaus mit Laden war abgebrannt. Unser Vater befand sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Wir drei Kinder blieben damals für sechs Wochen in Grevenstein. Danach wohnten wir für kurze Zeit auf der anderen Straßenseite in der ehemaligen Werkstatt von Onkel Hubert. Sobald es ging, wohnten wir in der Viehküche neben dem Stall, der erst vor der Hochzeit der Eltern 1937 gebaut wurde und trotz einiger Schäden stehen blieb. In dieser Zeit haben wir Kinder auf dem Kornboden und die drei Erwachsenen im Nachbarhaus geschlafen. Weihnachten 1945 stand der Weihnachtsbaum in der Außentür der Viehküche und wir gingen immer durch den Stall. Im Herbst 1946 erhielten wir die Nachricht vom Tod unseres Vaters. Vor Weihnachten im selben Jahr konnten wir in die neue Küche einziehen. Der Putz an den Wänden war noch weich. Die anderen Zimmer wurden erst nach und nach fertig gestellt. Die Handwerker mussten damals alle beköstigt werden. Mama hatte vom Schlachten Stücke unterm Stroh versteckt, denn was zugeteilt wurde, reichte nicht für so viele Leute. Zudem brauchte sie diese Naturalien auch, um überhaupt an Material für den Wiederaufbau zu kommen. Das war nicht ungefährlich! Nachdem wir in die Küche gezogen waren, nahm jemand unseren Vorrat in Augenschein. Es wurde kontrolliert, was an Butter und Vorräten alles da war. Unser Laden befand sich in dieser Zeit in Hoffmanns Haus. Einige Jahre (bis Anfang 1950*) konnte jede Familie nur soviel einkaufen, wie ihr zugeteilt wurde. Hierfür erhielten sie Lebensmittelmarken, berechnet nach Personenzahl. Sie wurden in der Wirtschaft ausgehändigt, waren aber kein Zahlungsmittel. Die Marken wurden dann sonntags von unserer Familie aufgeklebt, oft war der ganze Tisch voll.

Mathilde Hesse, geb. Kremer, berichtet:

Es gab viele Leute zu beköstigen. Doch wir durften nur das für uns behalten, was uns zugeteilt wurde. Weil es verboten war, haben wir heimlich Butter gemacht. Die Zentrifuge war verplombt, aber wir besaßen noch einen zweiten Satz. Die Sahne wurde zur Lagerung in Töpfen im Garten vergraben. Als die ‚Butterkirne‘ beschlagnahmt wurde, haben wir in einem großen Steintopf Butter gemacht. Dieser wurde mit einem Holzdeckel, der ein Loch in der Mitte hatte, verschlossen. Onkel Wilhelm baute uns aus Holz einen Lochstampfer mit langem Stiel. Zum Buttern wurde dieser durch das Loch im Deckel immer wieder rauf und runter gestoßen. Als das damit auch nicht mehr möglich war, wurde die Sahne in Flaschen solange geschüttelt, bis sie flockig wurde. Aber dabei wurde mehr wertvolle Milch vergeudet, als man Nutzen daraus hatte. Außerdem gab es Suppe aus Milch und Mehl, das in unserer Mühle grob gemahlen und dafür etwas ausgesiebt wurde. Brot gab es natürlich auch zugeteilt und wurde vom Bäcker aus Sundern, aber auch von der Bäckerei Kremer aus Olpe gebracht. Letzterer belieferte Meinkenbracht in den gesamten Kriegsjahren mit dem Pferdewagen. Eier hatte man, weil die Anzahl der Hühner nicht so genau nach gehalten werden konnte, doch wer mehr Schweine schlachtete, als erlaubt war, lebte gefährlich. Allerdings ließ sich da wohl jeder was einfallen, um die Kontrolle zu umgehen!

Rückkehr der Glocke 1948

Die Kirchengemeinde erhielt die größte beschlagnahmte Glocke im November 1948 zurück. Bis dahin hatte sie in Lünen gelagert. Zudem gelang es, die mittlere Glocke, die Westenfeld für sich als Ersatz angeschafft hatte, zu erwerben, denn deren Gemeinde hatte ebenfalls zwei Glocken zurück bekommen. Mit großer Freude vernahmen die Dorfbewohner zum Weihnachtsfest 1948 wieder das erste volle Glockengeläut.

* Ergänzung von I. Kaiser